Frankreich war aufgrund seiner gewachsenen Strukturen und seiner kulturellen, militärischen und wirtschaftlichen Bedeutung für viele Jahrhunderte stilbildend und ein Vorbild für Europa. Insbesondere im Zeitalter des Absolutismus setzte Frankreich mit seinen verfeinerten Sitten Standards. In den gebildeten und kultivierten Kreisen galt es an den gehobenen Kreisen Europas als chic, französisch zu parlieren. Ähnlich wie im 20. Jahrhundert, als englische Begriffe in die Sprachen Europas drangen, waren es im Zeitalter des Absolutismus französische Begriffe, welche die einzelnen Nationalsprachen bereicherten. Französische Lehnwörter im Deutschen, die sogenannten Gallizismen wie Portemonnaie, Pointe, Ambition und Attitüde, mögen dies verdeutlichen.
Das französische Sofa
Die Strahlkraft Frankreichs zeigte sich in allen Feldern von Kunst, Kultur und Architektur. Während Lustschlösser wie Sanssouci in Preußen französischen Vorbildern nachempfunden wurden, wurden Gärten wie französische Herrschaftsgärten gestaltet, Bilder wie in Frankreich gemalt und Theaterstücke überall in Europa nach der strengen Formenlehre der doctrine classique von Richelieu aufgeführt. Besonders ein Möbelstück sollte den feinen französischen Lebensstil verkörpern: das Chaiselongue. Obwohl es als Ruhemöbel eng mit dem Sofa verwandt wurde, handelt es sich bei dieser Erfindung zu Beginn des 18. Jahrhunderts um ein Unikat. Die Basis der Weiterentwicklung war nicht wie beim Sofa ein Bett oder eine Sitzbank. Vielmehr wurden ein Tabouret (Fußschemel) und ein Fauteuil (Polstersessel) miteinander verbunden, worauf auch der Begriff des Möbelstücks hindeutet, der ins Deutsche übersetzt „langer Stuhl“ bedeutet.
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Vorbild: Triclinium
Die streng klassische Herangehensweise der französischen Kultur zeigt sich auch im Chaiselongue, dessen Vorbild aus dem Imperium Romanum hervorging und eine Weiterentwicklung des römischen Liege- und Speisesofas Triclinium gewesen war. Römer in gehobenen Stellungen pflegten auf einem Triclinium zu ruhen und zu speisen. So war es auch üblich, ein Festmahl im Garten oder in der Villa zu veranstalten, bei dem die Gäste bequem auf einem Triclinium saßen, sich von Speis und Trank bedienten und miteinander plauderten. Die Römer hatten durch die Form des Liegemöbels die Möglichkeit, sich beim Speisen mit einer Hand den Kopf aufzustützen. Ein Triclinium versprach einen hohen Komfort und war ein Statussymbol. Das muss Begehrlichkeiten am französischen Hof geweckt haben.
Die Geschichte des Chaiselongues
Während des 18. Jahrhunderts waren die beiden Teile, aus denen das Chaiselongue bestand, noch klar voneinander getrennt. Erst ab dem frühen 19. Jahrhunderts wurde das Möbelstück zunehmend in einer einheitlichen Form produziert. Die französische Revolution von 1792, aber auch die industrielle Revolution wirkten sich nachteilig auf die Popularität des Chaiselongues aus. Während die raffinierte Lebensweise von den Republikanern als aristokratisch abgelehnt wurde, wirkte das Chaiselongue nach Ausbruch der industriellen Revolution und damit in dem Zeitalter der Beschleunigung zunehmend antiquiert und aus der Zeit gefallen. Die neuen Möglichkeiten der Massenherstellung und des Handels führten auch mental zu einer Rationalisierung der Lebensweise, in der praktische Aspekte den Vorzug vor dekorativen Elementen erhielten. Das, was sich im 20. Jahrhundert mit dem gesichtslosen international style in der Architektur abzeichnete, wurde auch innerhalb der Häuser praktiziert. Die ehemals ausgefeilten und raffinierten Möbelstücke galten als dekadente luxuriöse Verschwendung und brachten den Besitzer nun eher in Misskredit, anstatt dass er mit diesen Bewunderung auf sich zu ziehen vermochte.
Die Renaissance des Chaiselongues
Die Barrikadenkämpfe von früher, die teilweise mit weltanschaulichem Ernst verfochten wurden, sind heute in Vergessenheit geraten. Vielmehr öffnete sich auch ein solch exquisites Möbelstück wie das Chaiselongue dem postmodernen Kunstverständnis, das auf klare Vorgaben im Sinne des „anythink goes“ (Feyerabend) verzichtete. Zudem wurde nun im Sinne der Intertextualität ein spielerischer Umgang mit historischen Referenzen gepflegt, die kreativ miteinander verknüpft werden konnten. Die neue Offenheit dekorativen Elementen gegenüber führte zu einem neuen Staunen und damit in ein neues Wohlwollen solchen Blickfängern wie dem Chaiselongue gegenüber. Wie im Zeitalter des Absolutismus gilt ein Chaiselongue wieder als exklusiv, im Unterschied zu damals aber mit einem postmodernen Augenzwinkern.